Seit dem neu entfachten Nahost-Konflikt sind die alternativen Medien und einige ihrer Akteure in heller Aufruhr: Während die einen der Meinung sind, etablierte Medien würden einseitig pro-Israel berichten, so meinen andere, die etablierten Medien würden zu stark pro-palästinensisch berichten. Auch Medienkonsumenten äußern bisweilen diese Beobachtung und insbesondere Social-Media-Diskussionen sind von solchen Überlegungen geprägt. Nichts davon ist allerdings wahr: Die öffentlich-rechtlichen Medien berichten in puncto Israel gegenwärtig so ausgewogen wie schon lange nicht mehr und zeigen immer wieder beide Seiten des Konflikts. Was allerdings nicht heißt, dass sie nicht eine tatsächliche Einseitigkeit bei anderen Themen beibehalten und es nicht trotzdem Kritikpunkte an der Berichterstattung geben kann.
Immer der böse Mainstream, oder: Hauptsache dagegen sein
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Einige Akteure, die in den letzten Jahren besonders kritisch auf Medien und Politik gesehen haben, begehen momentan einen Fehler: Sie tun so, als wäre die mediale Berichterstattung und das Vorgehen der Politik beim neu entfachten Nahost-Konflikt identisch mit den medialen und politischen Verfehlungen bei Corona und dem Ukraine-Krieg. Als würde auch hier wieder der Meinungskorridor ausnahmslos zugezogen werden. Dabei muss man allerdings sagen, dass ausgerechnet diese Stimmen nun in eine moralisierende Einseitigkeit kippen, die sie zuvor stets kritisiert hatten und die eine sachliche Debatte verunmöglicht. Vielfach erinnert die Argumentation an Strack-Zimmermanns empörten Ausruf, als sie mit Blick auf den Ukraine-Krieg in der Lanz-Talkshow Ulrike Guérot anherrschte: „Es sterben Menschen!“
Tatsächlich ist aber bei der Israel-Thematik nicht der Mainstream einseitig, sondern tendenziell die alternativen Medien.
Während das österreichische Alternativ-Medium report-24 etwa stark pro-israelisch argumentiert und meint, der Mainstream würde seit Jahrzehnten einseitig und zwar israelfeindlich über den Nahost-Konflikt berichten“[1], so schlagen Medien wie die Nachdenkseiten oder Telepolis in eine andere Kerbe; sie kann man wohl tatsächlich zum Pro-Palästina-Lager zählen.
So formulierte der Journalist Norbert Paech in einem Artikel der Nachdenkseiten vom 3.11.2023 eigentlich etwas, was einen tatsächlich an die Formel „Die Bilder aus Bergamo“ erinnert:
„Wer die Bilder von den Trümmern Gazas sieht und die Berichte ihrer Menschen hört, erkennt, dass die stereotypen Meldungen in den Medien von israelischen Angriffen gegen Stellungen der Hamas nur der untaugliche Versuch sind, den unterschiedslosen Krieg gegen die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen als gezielte Verteidigung zu rechtfertigen.“[2]
Auch der Journalist Mathias Bröckers sprach mit Blick auf Tumulte während Slavoi Žižeks Rede auf der Frankfurter Buchmesse vom „kontextfreie[n] Schwarz-Weiß-Narrativ“ der Medien[3]. Wer Bröckers Arbeiten ein wenig kennt, weiß, dass er in den Medien stets einen ausschließlich pro-israelischen Diskurs verortet. Das Problem bei Bröckers: Er vermengt in seinem Artikel vom 20.10.2023 unterschiedliche Ebenen der Phänomene und Ereignisse; tatsächlich problematische Demonstrationsverbote oder das Verbieten von Palästinenserschals in Berliner Schulen ist eben etwas anderes als die mediale Berichterstattung zum Nahost-Konflikt oder negative Reaktionen wie Buh-Rufe auf die Rede Žižeks.
Bei einigen kritischen Stimmen wirkt es so, als müsse man stets auf Teufel komm raus die Leitmedien angreifen, es hat fast den Anschein, aus einem querulantischen Automatismus heraus.
In einem empörten Artikel vom 11.11.2023 sprach etwa Phillip von Becker in puncto Israel von einem „leitmedialen Konsenses“ und betitelt seine Ausführungen über den Nahost-Konflikt pathetisch als „die Hölle von Gaza“.
In einem anderen Artikel auf Telepolis behauptet von Becker, dass „im deutschen Diskurs ein Bild von der israelischen Regierung als den ‚Guten‘ geschaffen“ worden sei.[4] Was von Becker allerdings verwechselt, ist (wie schon bei Bröckers zu beobachten), die tatsächlich einseitig pro-israelische Haltung der deutschen Bundesregierung mit dem öffentlich-medialen Diskurs. Die Berichterstattung ist momentan eben NICHT deckungsgleich mit den Solidaritätsbekundungen der Regierenden, sondern durchaus ausgewogen und vielschichtig. Und dafür gibt es dutzende Beispiele.
Die momentane Ausgewogenheit der Öffentlich-Rechtlichen
Im ZDF bei Markus Lanz kam am 02.11.2023 die amerikanisch-deutsche Schriftstellerin Deborah Feldman zu Wort, die sehr differenziert über den Konflikt sprach, vor einer weiteren Eskalation der Gewalt warnte und betonte, dass die einzige Lehre aus dem Holocaust sei, sich für die Rechte aller Menschen gleichermaßen einzusetzen. Lanz war außerordentlich respektvoll und gewährte der jüdischen Autorin fast 10 Minuten ungebrochene Redezeit.[5]
Auch weitere Talk-Formate besprachen die Kriegsthematik unter Miteinbeziehen verschiedener Stimmen, etwa in der Sendung von Markus Lanz vom 15.11.2023, in der die muslimische Journalistin Kohla Maryam Hübsch die deutsche Politik und die israelische Bodenoffensive scharf kritisierte. Zu Wort kam in der Sendung auch ein junger deutsch-palästinensischer Student, der differenzierte, aber deutliche Kritik an der Bundesregierung und ihrer Einseitigkeit übte.[6] Im Talk-Format Hangar 7 des österreichischen Privatsender Servus TV kamen am 20.10.2023 ebenfalls unterschiedlichste Akteure und Stimmen zu Wort: Neben dem Politologen und Militär-Experten Walter Feichtinger sprachen Udo Steinbach, Islam-Wissenschaftler, und Judith Weinmann-Stern, Obfrau des Vereins „Wien-Tel Aviv“ sowie die Historikerin Andrea Komlosy und der Journalist Kai Diekmann. Während etwa Komlosy Kritik an Israels Siedlungspolitik im historischen Kontext übte (Stichwort Nakba) und sich für deutliche Deeskalation aussprach, thematisierte Diekmann den starken Israel-Hass und den Antisemitismus vieler Palästinenser.[7] Die Süddeutsche Zeitung besprach in einem Artikel das Schicksal von aus israelischer Haft entlassener Palästinenser in Ramallah[8] und führte ein Gespräch mit dem deutsch-palästinensischen Comedian und Podcaster Abdul Kader Chahin, der gleichzeitig Antisemitismus-Präventionsarbeit betreibt[9]. Auch ein ZDF-Beitrag vom 30.10.2023 versuchte behutsam beide Seiten zu beleuchten und thematisierte neben den Terroranschlägen auch die humanitäre Situation im Gaza-Streifen und die radikal-jüdische Siedler-Bewegung.[10]
Wo ist also die so vehement behauptete Einseitigkeit im Diskurs?
Natürlich könnte man nun die diskutierenswerte ARD-Sprachregelung bezüglich der Berichterstattung zum Nahost-Konflikt heranziehen und kritisch besprechen[11] oder Sascha Lobo zitieren, der Greta Thunberg sofort moralinsauer als Antisemitin framte[12], oder Florian Klenk, der von der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr auf Facebook das Hissen der Israel-Fahne forderte[13], eine Aufgabe, die wohl nicht in den Arbeitsbereich von Journalisten fallen sollte. Aber das sind stets dieselben Krawallmacher, die letztlich bei fast jedem Thema über die Stränge schlagen, sich wichtigmachen und nicht repräsentativ sind für die gesamte Medienlandschaft.
Sogar im österreichischen Medium „Der Standard“, das bei Covid und der Ukraine nicht gerade durch differenzierte Betrachtungsweisen aufgefallen ist, existieren immer wieder deutlich ausgewogene Berichte zum gegenwärtigen Nahost-Konflikt. Ein Kommentar von Eric Frey vom 16.11.2023 verdeutlichte, dass es ohne Friedensperspektive keine Sicherheit für Israel gebe und kritisierte Netanjahu mit folgenden Worten: „Eine rational handelnde Regierung würde jetzt die gemäßigtere Palästinenserführung im Westjordanland als Gegengewicht zur Hamas stärken und ihr eine Rolle für die zukünftige Verwaltung des Gazastreifens eröffnen. Stattdessen brüskiert Premier Benjamin Netanjahu sie bei jeder Gelegenheit, um nur ja keine Zugeständnisse in Richtung Zweistaatenlösung machen zu müssen. Denn diese lehnen seine ultrarechten Koalitionspartner vehement ab“. [14] Auch Maria Sterkl bespricht in einem jüngsten Artikel vom 30.11.2023 im Standard kritisch die Frage nach dem Vorgehen der israelischen Regierung bezüglich der Zukunft der Menschen im Gaza-Streifen und offenbar geplanter Vertreibungen.[15]
Der österreichische Rundfunk (ORF), den der Autor dieser Zeilen in der Vergangenheit oft genug kritisiert hat, zeigt ebenso seit Beginn des Krieges sehr behutsam, nüchtern und sachlich beide Seiten des Leids und des Schreckens, ohne dabei den islamistischen Terrorismus zu verharmlosen. Der ORF bespricht dabei gleichermaßen die Interessen der der palästinensischen Zivilbevölkerung einerseits und die israelische Perspektive und den Terror der Hamas andererseits. Positiv fiel auch am 11.10. 2023 die sogenannte Mini-ZIB auf, also ein Format für Kinder, das versuchte deeskalierend in Sprache und Bericht zu sein. Auf Empörung einiger journalistischer Akteure (allen voran wieder einmal Florian Klenk) wurde dieser Beitrag jedoch aus der TV-Thek entfernt. Hier allerdings von Zensur zu sprechen oder von einem zugezogenen Meinungskorridor ist verfrüht, denn die Berichterstattung im ORF hat sich seitdem kaum verändert und versucht durchwegs zu deeskalieren und auch nicht bestätigte Informationen von israelischer Seite immer wieder transparent zu kommunizieren.
Die einseitige Polarisierung findet in den so oft kritisierten Leitmedien momentan nicht statt, sondern eine „deplatzierte Moralisierung“[16] zeigt sich bei gewissen alternativ-medialen Stimmen und besonders stark auf Social Media.
Im Fall der Israel-Palästina-Problematik tappen nun leider Medienbeobachter, die sich kritisch mit dem Moralismus der vergangenen Streitthemen befassten, bisweilen selbst in die Moralpolitik-Falle, was mehr als bedauerlich ist. Anstatt den Nahost-Konflikt sachlich und differenziert zu besprechen, kippen sie dabei weniger in eine pro-israelische als tendenziell in eine pro-palästinensische Einseitigkeit, die den Vorwurf des antisemitischen Ressentiments durchaus nachvollziehbar werden lässt.
[1] „Es gibt dabei wieder einmal nur Gut und Böse. Gut sind demnach die ‚Palästinenser‘, die angeblich unterdrückt werden – böse ist Israel, wo eine rechtsradikale Regierung herrscht. Israel würde ständig wahllos ‚Palästinenser‘ vertreiben und ermorden, diese würden sich nur wehren.“, – https://report24.news/israel-alle-auch-der-so-genannte-widerstand-fallen-wieder-auf-mainstream-maerchen-hinein/ , abgerufen am 30.11.2023.
[2] https://www.nachdenkseiten.de/?p=106148 ,abgerufen am 30.11.2023.
[3] https://www.broeckers.com/2023/10/20/kein-kontext-nur-krokodile/ , abgerufen am 30.11.2023.
[4] https://www.telepolis.de/features/Deutscher-Nahostdiskurs-Zwischen-Diffamierung-und-Realitaetsverlust-9539206.html , abgerufen am 30.11.2023.
[5] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=yblJzvEw2Go , abgerufen am 30.11.2023.
[6] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=gmscKMho07c , abgerufen am 30.11.2023.
[7] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=EzMsYeEcbTI , abgerufen am 04.12.2023.
[8] https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-austausch-geisel-palaestinenser-ramallah-westjordanland-1.6311472?reduced=true , abgerufen am 30.11.2023.
[9] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/kultur/israel-gaza-krieg-antisemitismus-interview-abdul-chahin-1.6298890?reduced=true , abgerufen am 30.11.2023.
[10] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=xxE6yDYtCOo , abgerufen am 30.11.2023.
[11] Vgl. https://norberthaering.de/news/ard-glossar/ , abgerufen am 30.11.2023.
[12] Vgl. https://twitter.com/saschalobo/status/1715296647431795160 , abgerufen am 30.11.2023.
[13] Vgl. https://www.facebook.com/florian.klenk.7 , Posting vom 11.10.2023, abgerufen am 30.11.2023.
[14] https://www.derstandard.at/story/3000000195403/was-israels-sicherheit-gef228hrdet , abgerufen am 30.11.2023.
[15] https://www.derstandard.at/story/3000000196229/wie-sich-israels-rechte-die-zukunft-gazas-vorstellen-unter-der-kontrolle-israels , abgerufen am 30.11.2023.
[16] Diesen Begriff verwendete der Philosoph Michael Andrick in einem Interview im Deutschlandfunk, vgl. https://www.deutschlandfunk.de/laesst-sich-ueber-den-krieg-friedlich-reden-michael-andrick-philosoph-dlf-21835a02-100.html , abgerufen am 30.11.2023.
Über den Autor
Jan David Zimmermann ist Schriftsteller, Journalist und Wissenschaftsforscher. Seine Essays und Beiträge erscheinen unter anderem in der Berliner Zeitung, Cicero, oder dem Stichpunkt Magazin.
Danke Jan, ich – als großer Kritiker des engen Meinungskorridors der MSM zu C-Zeiten – teile Deine Beobachtungen zu Gaza. Ergänzen möchte ich, dass sich allerdings aus meiner Sicht die MSM bezüglich dieses Konfliktes im nahen Osten zu einer Balance entwickeln mussten. Anfangs differenzierte man auch dort nur zwischen gut und böse. Eigentlich das, was sie richtig gut können. Auch für mich ist das nicht mehr ausgewogene Berichten vieler neutraler Medien ein Ärgernis.